Die mittelalterliche Tradition der Krippen- und der Paradiesspiele

Shownotes

Die Tradition der Krippe in der Kirche reicht bis ins 4. Jahrhundert zurück. Der Brauchtumsforscher und katholische Theologe Prof.Dr.Becker-Huberti erzählt von der Tradition der weihnachtlichen Kirppenspiele, der Symbolik von Paradiesäpfeln und Tannengrün und was Maria und Eva gemeinsam haben.

Manfred Becker-Huberti ist ein deutscher römisch-katholischer Theologe. Er war von 1991 bis 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 ist er Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar.

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Hier ist der Podcast der Deutschen Burgenvereinigung. Wir haben uns den Erhalt und die Erforschung europäischer Burgen und Schlösser zum Ziel gesetzt.

Hallo, meine Lieben! Hier ist Isabel Gronack-Walz. Heute bin ich einmal nicht in Braubach bei der Deutschen Burgenvereinigung, denn heute soll es um das Thema Advent und Weihnachtszeit im Mittelalter auf den Burgen gehen. Mir gegenüber sitzt ein Experte in Sachen Brauchtum: Professor Dr. Becker-Huberti. Man kann mit Fug und Recht sagen: Wenn es etwas über Weihnachten und die Adventszeit zu wissen gibt, dann bin ich hier an der richtigen Adresse.

Was hat es mit der Krippe und der Tradition der Krippe auf sich?

Die Krippe Christi ist ein Bild dafür, in welchem Elend Gott in diese Welt gekommen ist. Das ist der Gedanke, der dahintersteht. Das heißt, das Bild der Krippe in der Kirche zu Weihnachten ist eigentlich uralt und geht bis in das vierte Jahrhundert zurück. Seitdem entwickelt sich diese Tradition immer weiter.

Ein wichtiger Markstein ist die Krippe des heiligen Franz von Assisi. Er baute eine Krippe in der Natur auf – mit echten Menschen sowie einem echten Esel und Ochsen, die dabei standen. Er versuchte also, die Geschichte in die Gegenwart hineinzubeziehen. Das führte dazu, dass man in den Kirchen begann, Krippen aufzustellen.

Ja, und dann gibt es noch die Krippenspiele. Die Krippenspiele werden in der Kirche aufgeführt. Zu Weihnachten gab es dort zwei verschiedene Spiele: das Krippenspiel und das Paradiesspiel.

Man muss bedenken: Der 24. Dezember ist ein uralter Gedenktag für Adam und Eva. Der Kirchenkalender stellt die Personen gegeneinander, die das Elend – die Erbsünde – in die Welt brachten, und jene, die es wieder beseitigten. Die alte Eva ist diejenige, die den Apfel vom Baum nahm, von dem sie nichts hätte nehmen dürfen, und damit die Erbsünde in die Welt brachte. Die neue Eva ist Maria, die den in die Welt brachte, der die Menschheit von der Erbsünde erlöste.

Das wird in vielen Marienplastiken dargestellt: Maria hält einen Apfel in der Hand und reicht ihn dem Jesuskind. Dieser Apfel ist ein doppelbödiges Symbol. Im Lateinischen heißt der Apfel malum, was zugleich auch „das Böse“ bedeutet. Der Apfel in Marias Hand steht somit für die Erbsünde, die Jesus – um es modern auszudrücken – „beseitigt“. Er ist derjenige, der die Erbsünde aus der Welt schafft.

So viel zur Macht der Frauen!

Genau das wird im Paradiesspiel dargestellt. Dieses Paradiesspiel ist übrigens auch die Begründung für das Auftauchen des Weihnachtsbaums. Denn wenn Eva in dem Stück die Frucht vom Baum nimmt, muss es natürlich ein grüner Baum sein – schließlich hängen Früchte nur an grünen Bäumen. Das ist in unseren Breiten um diese Jahreszeit jedoch schwierig. Also musste ein immergrüner Baum her: Tanne, Fichte, Ilex – alles, was grün war, wurde genutzt. Daran hängte man dann rote Äpfelchen, die im Winter als Vitaminspender dienten.

Diese Äpfel symbolisierten also die Erbsünde. Der Baum blieb nach der Aufführung des Paradiesspiels an Ort und Stelle stehen, denn gleich danach wurde am selben Ort das Krippenspiel aufgeführt. Es gab damals keine Requisiteure, die die Bühne umräumten. So wuchs der grüne Baum ins Krippenspiel hinein und wurde nach und nach auch dort zu einem festen Bestandteil.

Erst als Weihnachten aus der Kirche in die privaten Haushalte wanderte, überlegten die Menschen: Dieser Baum ist eigentlich gar keine so dumme Idee! Er kennzeichnete den Heiligen Abend und die Geburt Christi.

Daraus entwickelten sich zwei Traditionen:

Der Lichterbaum – vor allem im evangelischen Adel verbreitet. Er wurde auf den Gabentisch gestellt und mit Kerzen bestückt – in der Regel zwölf Kerzen, für jeden Monat eine. Das Licht symbolisierte die Hoffnung und die Geburt Christi.

Der geschmückte Baum der einfachen Leute. Diese feierten Weihnachten oft in ihrer Innung, also in einer Gemeinschaft. Da viele Kinder anwesend waren, hängte man statt Kerzen kleine Geschenke, Brezeln und andere Leckereien an den Baum. Wenn das Fest seinen Höhepunkt erreicht hatte, durften die Kinder den Baum „abbrezeln“, also die Leckereien herunternehmen. Daher stammt übrigens das Wort „aufbrezeln“.

Sehr schön!

Ich habe übrigens auch noch einen Beitrag zur alten und neuen Eva: Im Kölner Dom kann man das sehr gut sehen. Dort gibt es Fenster, die das Alte und das Neue Testament einander gegenüberstellen. Diese Darstellung begegnet uns dort immer wieder.

Außerdem gibt es im Kölner Dom eine sehr interessante Darstellung der Weihnachtsgeschichte in den alten Fenstern. Dort liegt Maria nach der Geburt noch – so, wie es alle Frauen nach einer Entbindung tun würden. Erst in den neueren Fenstern kniet sie. Das ist eine merkwürdige Entwicklung: Man stellt sich vor, Maria bringt Jesus zur Welt und kniet dann sofort davor.

Doch das ist das symbolische Denken des Mittelalters. Die ältere Darstellung – das Liegen auf der clinia (woraus sich das Wort „Klinik“ ableitet) – zeigt eine natürliche Geburtsszene. Das Knien vor dem Kind hingegen symbolisiert die Anerkennung des Kindes als Gott. In dieser Darstellung ist Maria als Theotokos (griechisch für „Gottesgebärerin“) gezeigt. Für sie gelten dann keine menschlichen Regeln mehr.

Ähnlich verhält es sich mit der Darstellung Marias als „Thron Christi“: Wenn sie sitzt und das Kind auf ihrem Schoß hält, wird sie als Thron dargestellt. Das Jesuskind, drei Tage alt, segnet die Besucher – etwas, das ein normales Baby nicht könnte, aber Gott kann es natürlich.

Diese Dinge sind für uns heute oft schwer verständlich, weil wir nicht mehr in symbolischen Bildern denken.

Ja, aber vielleicht hat dieser Podcast ein wenig dazu beigetragen, diese Dinge zu erklären.

Vielen, vielen Dank, Herr Becker-Huberti! Es hat mir große Freude bereitet, mit Ihnen zu sprechen. Ich werde nun mit ganz anderen Augen auf unsere weihnachtlichen Symbole blicken und freue mich schon, wenn wir uns das nächste Mal an dieser Stelle hören – mit einem weiteren interessanten Thema.

Mein Name ist Isabel Gronack-Walz, und mir gegenüber saß der Brauchtumsexperte und katholische Theologe Professor Dr. Becker-Huberti.

[Musik]

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